Maximilian Hardegg zur Lebensmittelsicherheit in Österreich
Foto: © GUT HARDEGG
Seit dem 24.2.2022 steht unsere Welt auf dem Kopf. Der Krieg in der Ukraine stellt unsere Weltordnung in Frage, lässt überwunden geglaubte Feindbilder wieder hochkommen, weckt alte Kriegsängste und deckt schonungslos die Schwächen und Abhängigkeiten unseres westlichen Wirtschaftssystems und deren Politiken auf. Wir stehen am Beginn einer Zeitenwende und wissen nicht, was noch auf uns zukommt. Ganz zu schweigen vom Flüchtlingsdrama in der Ukraine und der europäischen Verantwortung dabei.
Schon vor der Ukraineinvasion waren die Weltmärkte für sehr viele Agrarprodukte wie Getreide, Mais und Ölsaaten sehr angespannt, durch die Düngerverknappung schnellten auch die Düngerpreise auf das Dreifache in die Höhe und die Transportengpässe und Kostensteigerungen übten großen Druck auf die Märkte aus. Es war eine besondere Situation, weil es nicht nur ein Nachfragedruck war, sondern vor allem auch vom knappen Betriebsmittelangebot geprägt war.
Der Krieg war für diese spannungsgeladene Situation sicherlich der gefährliche Funke. Heute wissen wir gar nicht, wer die Welt 2022 mit der Brotfrucht Weizen versorgen wird, es ist jedenfalls davon auszugehen, dass Rußland und die Ukraine, welche gemeinsam für 30% des Weizenwelthandels verantwortlich zeichnen, heuer ausfallen werden. Wo also werden Ägypten, Algerien und Marokko, Libanon und all die anderen Weizen einkaufen und zu welchen Preisen? Werden wir im Herbst und Winter 2022 neue Unruheherde in Afrika und dem Nahen Osten erleben?
Für uns Landwirte bringt dies große Unsicherheiten – wie mit den gestiegenen Produktionskosten umgehen, wie darauf pflanzenbaulich reagieren? Wieviel mehr muss am Markt erlöst werden, damit die Kostenanstiege aufgefangen werden können? Wie mit der seit Monaten anhaltenden Trockenheit umgehen, wird sich diese fortsetzen und zu einer heimischen Missernte führen oder dreht sich die Wetterlage bald? Wann vermarkten und auch an wen?
Was wir Landwirte jetzt unter Beweis stellen können ist, dass wir durch unser Handeln eine Situation entspannen und positiv beeinflussen können. Wir können unsere Erzeugung effizienter gestalten, wir können mit den Betriebsmitteln sorgsamer umgehen, können mehr auf Fruchtfolgen und Kreislaufwirtschaft setzen und so unsere Erträge stetig steigern. Und trotzdem auf Natur und Biodiversität achten.
Die Politik wiederum kann beweisen, dass die GAP jetzt wirklich stabilisierende Wirkung auf die Märkte hat, sie kann den Landwirten vermitteln, dass jeder wichtig ist, auch die großen Betriebe. Die Politik kann aber auch falsche ökologische Ziele und hemmende Ordnungspolitik über Bord werfen wie Reduktion der Dünge-und Pflanzenschutzmittel und einseitigen Ausbau der ökologischen Landwirtschaft. Die Politik könnte jetzt mit Experten sprechen, anstatt sich vom NGO Zeitgeist treiben zu lassen. Jetzt ist die Zeit von Vernunft und Verantwortung.
Europa wird sich eingestehen müssen, dass es mit seinen fruchtbaren Kulturlandschaften und den vielen gut gebildeten Landwirten über ein einmaliges Potential als Agrarkontinent verfügt und dies aktiv in die globale Ernährungssicherung einbringen muss. 2022 ist vor allem eine Zeitenwende für Europa. Die spannende Frage wird sein, ob Europa diese globalen Herausforderungen aktiv annimmt, oder sich lieber treiben lässt und kleingeistig abkapselt nach dem Motto „bei uns ist alles sicher, Hauptsache wir haben genug zu essen“.
Ich hoffe natürlich auch, dass Österreich sich aus der „Insel der Seligen“ Mentalität verabschiedet und mithilft, damit mutige Vorschläge für die Produktionssicherung der eigenen Landwirtschaft aber auch für ganz Europa formuliert werden. Wir Landwirte sind jedenfalls bereit für die neuen Herausforderungen, unsere Felder sind bestellt und wir sind es gewohnt, unsere Ernte verantwortungsvoll zu teilen und auch schwierige Situationen zu bewältigen.
Gut Hardegg wird seine Produktion für 2022 jedenfalls bestmöglich optimieren. Auf unseren Feldern bestellen wir gemäß dem Gut Hardegg Prinzip einer „bunten Landwirtschaft“ elf verschiedene Kulturen, darunter die Brotfrucht Weizen, aber auch Sonnenblumen, Soja, Raps, Kartoffeln und Zuckerrüben. Gut Hardegg alleine versorgt beim Weizen 75.000 Österreicher, bei Pflanzenöl 50.000, bei Kartoffeln und Durum gar 100.000, bei Zucker 40.000 Menschen pro Kopf und Jahr. Beim Schweinefleisch decken wir den Bedarf von 40.000 Österreichern. Im Durchschnitt wird eine mittlere Stadt mit Grundnahrung versorgt. Wie wichtig diese Größe und Leistungsstärke ist, sehen wir am Grad der Selbstversorgung: bei den meisten Grundnahrungsmitteln liegen wir unterhalb von 100%, vor allem bei Ölfrüchten sind es nur 30%, aber auch bei Kartoffeln und Weizen liegen wir in Österreich unter 90%.
Für Gut Hardegg ist es ganz wichtig, sich diesen neuen Herausforderungen zu stellen, trotzdem natürlich all die wertvollen Biodiversitätsflächen für die Natur zu erhalten.
Besonders ermutigend war die Lieferung von 2 LKW mit Gut Hardegg Mehl an die ukrainisch-ungarische Grenze. Mit dieser Spende wollte ich gemeinsam mit Kollegen auf unsere Verantwortung aufmerksam machen und hoffe, dass viele andere dem Beispiel folgen.
Beachten Sie auch folgende Artikel zum Download:
> Vom Wert der Natur
> Die Presse am Sonntag über Gut Hardegg
> Warum Wasser mehr als ein Betriebsmittel ist